Interview mit Professor Hans-Dieter Hermann
Was die Wissenschaft vom Spitzensport lernen kann
22.02.2017
Professor Hans-Dieter Hermann ist seit 2004 Teampsychologe der deutschen Fußball-Nationalmannschaft und arbeitete bereits mit Olympioniken aus über 20 Sportarten zusammen. Kürzlich war er an der LMU zu Gast und vermittelte in einer Ringvorlesung des Center for Leadership and People Management, was Wissenschaftler von Spitzensportlern lernen können. Im Interview gewährt er noch einmal einen Einblick in die Gemeinsamkeiten beider Bereiche.
Weitere Impressionen der Freitags-Ringvorlesung finden Sie hier.
Wie sind Sie auf die Verbindung zwischen Spitzensport und Wissenschaftsbetrieb aufmerksam geworden?
Professor Hans-Dieter Hermann: Das liegt fast auf der Hand, da ich in beiden Bereichen seit langem arbeite und dabei ähnliche Voraussetzungen und ähnliches Anspruchsdenken festgestellt habe. Die Notwendigkeit einer permanenten Entwicklung ist ebenso auf beiden Feldern gegeben wie die Tatsache, dass die handelnden Personen danach streben, ihre Methoden immer weiter zu verbessern und zu verfeinern.
Sowohl im Spitzensport als auch in der Wissenschaft ist der Umgang mit Leistungsdruck und Druck von außen sicherlich ein wichtiges Thema. Haben Sie Tipps, wie man damit gut umgehen kann?
Druck entsteht durch die subjektive Gefahr einer möglichen Überforderung. Man muss einschätzen können, welche Herausforderungen mit den eigenen fachlichen, psychischen und auch körperlichen Voraussetzungen realistischer Weise zu bewältigen sind und welche nicht. Entscheidend ist dabei auch, ob man Freude bei seiner Tätigkeit erlebt. Mit Freude an der Tätigkeit werden aus Drucksituationen Herausforderungen. Das ist psychologisch dann eine andere Situation für die Betreffenden. Kommt über längere Zeit keinerlei Freude, dafür aber permanenter Druck auf, sollte man sich die Frage stellen, ob der aktuelle Weg der richtige ist.
Lange Forschungsprojekte, mögliche Rückschläge - lässt sich auch die mentale Ausdauer trainieren? Wie schafft man es, trotzdem an einem Vorhaben festzuhalten und "dranzubleiben"?
Ich freue mich, dass Sie hier den Trainingsbegriff ins Spiel bringen. Das regelmäßige, systematische Vorgehen analog zum sportlichen Training ist nämlich ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Anwendung relevanter Strategien. Bevor man anfängt zu trainieren, sollte man sich aber frei machen von falschen Idealvorstellungen. Die Erwartung vorab, dass alles problemlos klappt, wenn nur die Einstellung stimmt, ist schon der erste Wegbereiter für Resignation oder Frustration. Ich treffe immer wieder auf Menschen, die zumindest implizit davon ausgehen, dass eine Karrierekurve oder ein Projektverlauf kontinuierlich aufwärts verlaufen. Die Realität sieht aber anders aus, auch bei vermeintlich erfolgreichen Menschen. Es gibt Aufwärts- und Abwärtsentwicklungen und das ist völlig normal. Zwischentiefs als Normalität anzuerkennen, ist schon ein sehr wichtiger Schritt, um auch dann an den Erfolg eines Projekts glauben zu können. Übergeordnete Voraussetzung ist, dass man das eigene Handeln in diesem Projekt als sinn- und wertvoll betrachtet.
Sie haben die Spieler der deutschen Nationalmannschaft bei mehreren Fußballweltmeisterschaften betreut. Welche Anforderungen ergeben sich an die Spieler - und möglicherweise auch an Wissenschaftler - angesichts der hohen medialen Aufmerksamkeit? Wie können Sie hier psychologische Hilfestellung geben? Haben Sie Tipps, wie man damit am besten umgeht?
Ich erinnere mich gut an die Aussage der früheren Bildungsministerin Anette Schavan, die während ihrer Amtszeit versuchte, dem drohenden Entzug ihres Doktortitels entgegenzuwirken. Sie sagte, dass unter dem Brennglas der Öffentlichkeit, negative Entwicklungen dreimal so schwierig und schmerzvoll sind. So geht es auch Spitzensportlern. Im Erfolgsfall werden sie von Medien und Öffentlichkeit mit Lob überschüttet. Im Misserfolgsfall kippt das völlig ins Gegenteil. Daher gibt es nur die Möglichkeit der Gelassenheit – in Erfolgszeiten ebenso wie in problematischen Zeiten.
Im stillen Kämmerlein zu forschen ist heute kein Thema mehr, Forschung ist Teamsache. Lassen sich aus dem Bereich der Mannschaftspsychologie möglicherweise Erkenntnisse auf die Wissenschaft übertragen?
Bestimmt. Trotzdem sollte man sich bewusstmachen, dass Teamstrukturen und Rahmenbedingungen für Teamarbeit in der Wissenschaft sich in vielen Fällen deutlich von denen im Sport unterscheiden. Das gilt im Übrigen auch schon zwischen einzelnen Sportarten oder Vereinen. Ein American-Football-Team mit sehr vielen Mitgliedern mit sehr unterschiedlichen Aufgaben sowie sehr komplexer Zusammenarbeit auf dem Feld entwickelt normalerweise eine ganz andere Dynamik als eine Leichtathletik-Staffel, die nur an wenigen, vorher klar definierten Schnittstellen zusammenarbeiten muss. Aber in allen Teams spielt eine kooperative Team- bzw. Organisationskultur eine wichtige Rolle. Selbst im konkurrenzbetonten Spitzensport zeigt sich immer wieder, dass trotz Konkurrenz alle Beteiligten von Zusammenarbeit profitieren. Ähnliches gilt für eine offene Kommunikations-, Kritik- und Fehlerkultur. Um dafür geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen genügt es allerdings nicht, ab und zu mal eine Teambuilding-Maßnahme zu veranstalten, sondern es sollten Instrumente entwickelt werden, mit denen man solche Ansätze möglichst kontinuierlich und konkret im sportlichen bzw. beruflichen Alltag verankern kann.
Im Sport wie auch in der Wissenschaft sind Wettbewerb und Konkurrenzdruck allgegenwärtig. Wie kann man fairen Umgang innerhalb des Teams, aber auch auf dem Spielfeld sicherstellen?
Konkurrenz ist wichtig und fördert die Leistungsbereitschaft. Insofern sollte man nicht den Fehler machen, Konkurrenzdenken zu sanktionieren. Die Frage ist also vor allem, in welcher Form dieses Konkurrenzdenken ausgelebt werden sollte. Ein faires Konkurrieren hängt oft in starkem Maße von der Vorbildfunktion der Führungskraft und deren Führungsstil ab. D.h. Führungskräfte können durch entsprechende Rückmeldung, Verstärkung, ggf. auch Sanktionierung wichtige Signale setzen, welche Art von Konkurrenzdenken erwünscht ist und welche nicht. In vielen Bereichen hat es sich beispielsweise als zielführend erwiesen, bei Leistungsbeurteilungen eher individuelle Maßstäbe und Entwicklungen als Bezugsnorm zu nehmen als den Vergleich mit anderen.
Weitere Informationen zu Professor Hermann sind auf der Webseite des DFB zu finden.
Das Interview führte Katharine Linges (Kommunikation & Presse).